Amerikas Schande

Guantánamo steht für moralisches Totalversagen

Martin Damerow

E-Mail zur Autorenseite

13.1.2022, 10:56 Uhr
Soldaten stehen Wache vor dem Camp Delta im US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba.

© Ramon Espinosa, dpa Soldaten stehen Wache vor dem Camp Delta im US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba.

Das US-Gefangenenlager in Guantánamo ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden, dem die Menschenrechte etwas bedeuten - und das seit unfassbaren 20 Jahren. Mit diesem Konstrukt, geschaffen unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001, haben sich die USA ein gutes Stück aus der Weltgemeinschaft verabschiedet. Und das, obwohl ihnen die meisten Nationen dieser Erde nach den Terrorattacken so nahestanden wie schon lange nicht mehr.

Überfall auf den Irak

Doch statt nach Gerechtigkeit dürstete Amerika nach Rache. 9/11 musste unter anderem als Grund herhalten für den Überfall auf den Irak im Jahr 2003. Zu diesem Zeitpunkt ging es längst nicht mehr darum, die Drahtzieher der Attentate zur Verantwortung zu ziehen, sondern George W. Bushs „war on terror“ zielte darauf ab, die Welt gemäß Amerikas eigenen Interessen zu formen - scheinheilig getarnt mit dem Versprechen auf mehr Demokratie.

Wohin uns das gebracht hat, ist im Nahen und Mittleren Osten gut abzulesen. Länder wie der Irak, Jemen oder Afghanistan sind alles andere als gefestigt. Washingtons „Krieg gegen den Terror“ hat geopolitisch auch nicht annähernd die angestrebte Wende gebracht, sondern letztlich bloß sämtliche Werte beschädigt, für die westlich geprägte Demokratien stehen. Abu Ghoreib und Guantánamo sind die Manifestationen dieses politischen und moralischen Totalversagens.

Das wirkt bis heute nach. Wie könnte sich Washington, solange noch ein einziger Häftling in Guantánamo sitzt, glaubhaft für die Einhaltung der Menschenrechte in Russland einsetzen? Oder Chinas Umgang mit den Uiguren oder Tibetern anprangern? Als Advokat der Freien Welt fallen die USA komplett aus.

Verrat an den Nürnberger Prinzipien

Das Lager in Guantánamo Bay ist sozusagen das traurige Mahnmal, das uns bis heute daran erinnert, dass die US-Regierung die Nürnberger Prinzipien, geboren aus den Kriegsverbrecherprozessen im Nachkriegsdeutschland, verraten hat. Den größten Massenmördern der Geschichte und deren Handlangern wurde damals ein fairer Prozess gemacht. Klar ist: Nur wer seine eigenen Werte selbst im Angesicht des größten Grauens hochhält, der besitzt moralische Integrität. Die besitzen die USA auch längst nicht mehr auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet – der Patriot Act höhlt zahlreiche Bürgerrechte bis zur Unkenntlichkeit aus, bis heute.

Dass es Joe Biden gelingen könnte, dieses dunkle Kapitel Amerikas endlich abzuschließen, ist unwahrscheinlich. Zu groß sind die Widerstände, sogar in seinen eigenen Reihen. Doch als Geste der Versöhnung könnte er zumindest die juristische Verfolgung jener forcieren, die sich in Guantánamo der Folter schuldig gemacht haben. Mit einem Verfahren nach international geltenden Standards - jenen Standards, die die USA den Terrorverdächtigen auf Kuba seit zwei Jahrzehnten versagen. Das wäre ein erster Schritt in einem längst überfälligen Heilungsprozess.

1 Kommentar